Jeder, der auf der A 395 unterwegs ist, sieht die Zuckerfabrik schon von weitem: Der große Schornstein und der Wasserdampf machen auf sich aufmerksam. Bei der gestrigen Feierstunde zog der Duft nach Wolfenbüttel. Auf den Tag genau – am 5. Dezember 1870 – wurde das Nordzucker-Werk an der Bahnhofsstraße gegründet. Die Jubiläumsfeier zum 150-jährigen Bestehen stellte sich Werkleiter Dr. Jörg Vietmeier ursprünglich anders vor. Mit einem Mitarbeiter-Frühstück wurde 2019 das Jubiläumsjahr eingeleitet. „Nun kam alles anders“, sagte er. Dennoch, große Freude: „Heute auf den Tag genau begann die Erfolgsgeschichte“, erzählte er im Beisein vom Betriebsratsvorsitzenden Ralf Koppe, dem Produktionsverantwortlichen Arend Wittenberg sowie Bürgermeister Andreas Memmert. In der Chronik zur 100-Jahrfeier hieß es: Mit einem Kapital von 120.000 Thalern in 80 Aktien zu je 1.500 Thalern, gezeichnet von 45 Landwirten, fand die Eintragung der neuen Gesellschaft „Aktien-Zuckerfabrik Schladen“ im Handelsregister des Amtsgerichtes Wöltingerode statt. Eine Aktie verpflichtete zum Anbau von 15 Morgen Rüben.

Memmert zeigte sich überglücklich: „Es ist extrem selten, dass Unternehmen auf den Tag genau ein Jubiläum feiern können.“ Er sagte, dass er in jüngeren Jahren selbst einst Rüben aufs Gelände fuhr. Man merkte, dass er eine tiefe persönliche Verbindung zur Zuckerfabrik habe. „Ich rieche gerne den Rübenduft“, verriet er. Die ersten Jahre waren wie bei vielen Start-Ups turbulent. Von 344 Hektar wurden 8.200 Tonnen Rüben geerntet und ans Werk geliefert. Erfolge und Rückschläge vereinten die Jahrhundertwende. „Der Druck des Weltmarktes, Kriege, die spanische Grippe 1918/1919, Wirtschaftskrisen“, schnitt Vietmeier einige Themen an. 1950 war dann ein Jahr der Umstrukturierung. Stillgelegte Werke, die Produktion umgelagert. Kapazitäten wurden unter anderem in Schladen gebündelt – und das bis heute. „Der Standort wurde größer und größer“, sagte Memmert. Jetzt werde 100-mal soviel am Tag wie noch vor 150 Jahren produziert. 11.000 Tonnen Zuckerrüben sind es täglich. Alle fünf Minuten kippe ein LKW ab. Etwa 48 Stunden sind es vom Beladen des Förderbandes mit dem Bagger bis die Rübe einen gut zwei Kilometer langen Prozess durchläuft. Anlieferung, waschen, zerschneiden und erhitzen, Wasserentzug für die wertvollen Kristalle. Es werde immer optimiert. Das ehrgeizige Ziel: „Nordzucker Schladen soll bester Standort in Europa werden – ein Premiumstandort“, so Vietmeier. Ein wesentlicher Meilenstein sei 1978 die Umstellung von Rohzuckerproduktion auf die Erzeugung von Weißzucker gewesen. „Investitionen folgten in die Errichtung von Silos, neue Anlagen für die Dampf- und Elektroenergieerzeugung und die Erweiterung der Kristallisation (Zuckerhaus)“, erinnerte sich Vietmeier, der die fünfte Kampagne leitet. Als Betriebsingenieur war er schon zehn Jahre tätig. Mit dem Bau der Umgehungsstraße erhielt die Fabrik 2001 eine eigene Anbindung – ein Meilenstein. Memmert: „Dadurch konnte der Verkehr im Ort erheblich entlastet werden.“ Mehr als 1,3 Millionen Tonnen Rüben werden in dieser Kampagne verarbeitet. Ohne den Bau sei das heute undenkbar. Nur durch die enge Zusammenarbeit der Behörden und Gemeinde sei dies gelungen. 2004 folgte dann ein grundlegender Umbau. Anlagen aus der stillgelegten Zuckerfabrik Schleswig wurden umgesetzt und ergänzte im Schladener Werk den Rübenhof. Und auch 2017 waren sich die Experten einig: „Es wurde erstmals eine ökozertifizierte Rübe zu Biozucker verarbeitet“, so Vietmeier und ergänzte, dass auch Umweltthemen auf dem Plan stehen. Nordzucker setze sich Klimaziele. „Wir wollen bis 2050 CO2-frei werden“, so der Werkleiter. Der Schienenverkehr sei aber trotz Anbindung zu teuer.

Memmert sagte, dass man eigentlich nicht bemerke, dass man eine Großfirma im Ort habe, so gut passe sie sich ins Bild ein. Das Verhältnis zur Bevölkerung, Mitarbeitern und Gemeinde sei sehr gut, weshalb es so gut wie keine Beschwerden gebe. Er verdeutlichte: „Schladen liebt seine Zuckerfabrik. Und die Zuckerfabrik liebt Schladen.“ Arend Wittenberg erinnerte an die industrielle Revolution. „Wir haben eine Mannschaft, die das Werk voranbrachte. Darauf sind wir stolz“, dankte er. Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, Biozucker … er nannte viele Themen, die heute mehr denn je gefragt sind. Leider kam es, dass Nordzucker in den letzten Jahren laut ihm trotzdem rote Zahlen schrieb. „Das hat sich aber wieder gebessert“, sagte er. Ralf Koppe ergänzte, dass 220 Menschen inklusiv der Azubis Arbeit finden, jedoch weit über 10.000 Menschen wirtschaftlich vom Standort abhingen. Die Corona-Lage forderte ihnen allen viel ab. „Alle sind diszipliniert. Abläufe wurden geändert. Wir nutzen Funkgeräte“, sagte der BR-Vorsitzende. Seit Mitte September läuft die Kampagne und dauert noch bis Mitte Januar. Bis dahin wird sieben Tage die Woche im Dreischichtbetrieb gearbeitet, damit uns allen das süße Lebens- und Würzmittel daheim zur Verfügung steht.