Traumatisierte Kinder, in denen noch die Erlebnisse von Krieg und Flucht schlummern – das ist eine der Gruppen, denen sich Kirstin Pöhl seit einiger Zeit widmet. Die Fachkraft für Psychopädagogische Kindertherapie arbeitet bei der Lebenshilfe Wolfenbüttel mit 35 kleinen Menschen (bis 12 Jahre) zusammen und versucht, sie durch das Projekt „Seelenschaukel“ mit ihrem Erlebten spielerisch auseinanderzusetzen.
Für den besseren Zugang sind die ukrainischen Kinder eigentlich in zwei Altersgruppen eingeteilt. Doch mit einer Herz-erwärmenden Geschichte gelang es Kirstin Pöhl jetzt, gleich beide Gruppen zu begeistern: „Wir haben die Rettung von rund 40 verletzen Kuscheltieren aus dem Kriegsgebiet simuliert“, erzählt sie. Das Projekt bedurfte wochenlanger Vorbereitung durch alle Kinder und schweißte sie erkennbar zusammen. Höhepunkt: Die Landung des Ballons und der Empfang der kuscheligen Landsleute bei der Lebenshilfe.
„Es ist immer schwierig, traumatisierte Kinder zu öffnen“, erklärt die Therapeutin. Erst recht, wenn es eine solche Sprachbarriere gibt. „Man darf nicht vergessen, dass die Familien Hals über Kopf ihr bekanntes Leben verlassen mussten, viele Väter und Brüder kämpfen noch immer in der Heimat.“ Eins der Kinder musste 40 Nächte in einer U-Bahn-Station ausharren. „Solche Erlebnisse kann man nicht mal eben so im Gespräch bewältigen.“
Darum also der Umweg über die Tiere. Die Geschichte lies sich recht harmlos an: Bei der Lebenshilfe traf ein Brief ein, den eine Giraffe aus dem Kriegsgebiet geschickt hatte. „Wir haben uns vorher intern für die Giraffe entschieden, weil sie das Landtier mit dem größten Herzen ist. Außerdem hat sie durch ihren langen Hals einen prima Überblick und gilt bei den Kindern immer als Herzenstier mit großer Verbundenheit.“ Im Brief hieß es, sie seien auf dem Weg zu Väterchen Frost verunglückt und lägen nun verletzt im Lastwagen. Sie hätten von der Seelenschaukel gehört und wären auch gern an diesem sicheren Ort.
„Gemeinsam wurde dann überlegt, wie wir aus Wolfenbüttel heraus helfen könnten – die Kinder haben sich als Fluchtfahrzeug für einen Heißluftballon entschieden, so dass wir dann gemeinsam einen Korb gebastelt und viele Ballons aufgeblasen haben.“ Als er schließlich zu seiner Mission startete, war die Aufregung groß, und die Kinder kamen an den folgenden Tagen stets mit der selben Frage in den Kindergarten: „Ist er wieder da?“ Schreck und Erleichterung mischten sich, als zwei Wochen später der Ballon eintraf: Der Korb hatte sich im Baum verfangen, doch Dolmetscher Dennis Mühlberg griff hilfreich ein.
Im Lebenshilfe-Kindergarten Siebenstein konnten die Kuscheltiere schließlich den Korb verlassen, und siehe da: Jedes Kind konnte eins in Empfang nehmen. Das gab ein großes Hallo, aber auch gleich eine Prise Verantwortung: „Alle Tiere waren ja mit Pflastern und Verbänden versehen, weil sie bei dem Unfall verletzt wurden.“ Diese Kuscheltiere in den kommenden Wochen pfleglich zu behandeln, sie wieder aufzupäppeln und die Verbände zu wechseln, ist nun Teil des Projekts.
„Kinder können über ihre eigenen Gefühle oft nicht leicht reden“, weiß Kirstin Pöhl aus Erfahrung. „Aber über die Gefühle der Tiere zu erzählen, das gelingt auch den Jüngsten ganz gut im Gesprächskreis.“ Wenn es darum geht, wie sich die verletzten Bären, Katzen und Hunde zu Hause fühlen, spielt eben auch immer die eigene Gefühlslage mit rein.
Das Projekt Seelenschaukel ist seit einem Jahr gefördert durch die Aktion Mensch und läuft am 31. Juli aus. „Neben dieser Hilfe sind wir auch Spender Kevin Rumphorst sehr dankbar.“ Der Schladener gab über seine Firma 5hr GmbH 277 Euro, wovon die Kuscheltiere gekauft werden konnten. Zuletzt hatte die Lebenshilfe eine der Mütter als Übungsleiterin eingestellt, was für alle ein weiteres Bindeglied ist in der Seelenschaukel. „Allerdings wissen wir im Moment noch nicht, wie es im August weitergeht, was die Stimmung etwas drückt“, sagt Kirstin Pöhl. „Und doch werden wir die verbleibende Zeit in großer Verbundenheit nutzen und hoffen, dass die Seelenschaukel auch im August weiter schaukelt.“