Solche Besuche gehören sicherlich nicht zu den Lieblingsterminen. Zum politischen Amt gehören sie aber dazu und werden eingefordert. Nach anderthalb Jahren Amtszeit und mehrmaligen Aufforderungen besuchte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Donnerstag das marode Atommüll-Lager Asse. Auf dem Plan stand auch eine Fahrt unter Tage. In das einstige Salzbergwerk Asse II wurden zwischen 1967 und 1978 rund 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll und chemischen Abfällen gebracht. Der Müll soll laut Zeitplan ab 2033 aus dem Bergwerk an die Oberfläche geborgen werden. „Die Zeit drängt, weil die Grube voll Wasser zu laufen droht“, betonte Dr. Thomas Lautsch, Technischer Geschäftsführer der Bundesgesellschaft für Endlagerung. Die BGE ist der aktuelle Betreiber der Anlage. 

Um Klartext sollte es gleich zu Beginn gehen, als die Bundesministerin mit Vertretern von Bürgerinitiativen wie dem bekannten Verein „aufpASSEn“ und dem Asse-2-Koordinationskreis für 20 Minuten am Vormittag zusammenkam. Ob die Zeit dabei reichte, um alle Fragen beantwortet zu bekommen, ist eher unwahrscheinlich. Immerhin stellte sie sich der Konfrontation.  Im Anschluss fuhr Lemke mit Kommunalpolitikern und Pressevertretern in den Schacht. Das mediale Interesse an ihrem Besuch war enorm. Radio, Fernsehen und Agenturen kamen nach Remlingen. Das ZDF und der NDR sendeten abends ihre Beiträge. Ihre Amtsvorgängerin Svenja Schulze hatte im Februar 2019 die Asse besucht und damals Zählbares versprochen. Seitdem gab es keinen Amtsbesuch mehr. 

Noch immer sind nicht alle Details geklärt. Zu den größten Streitpunkten zählt das Zwischenlager. Der Betreiber will einen oberirdischen Standort in unmittelbarer Nähe zum maroden Bergwerk. Dieser Meinung nahm sich auch die alte Bundesregierung an. Allein die geplante Bergung in zehn Jahren wird von den Fachleuten der BGE auf etwa vier Milliarden Euro beziffert. Auf die Äußerung Lemkes zu dieser Frage wurde besonderes Gehör gegeben. 

Am Nachmittag folgte ein angeregter Austausch im Remlinger Dorfgemeinschaftshaus. Stefan Studt, Vorsitzender der BGE-Geschäftsführung, sagte: „Wir sind außerordentlich dankbar für den Besuch.“ Gut einhundert Bürger nahmen daran teil und ließen vor allem zum Ende hin ihrem Frust freien Lauf, kritisierten die Ministerin scharf. Lemke wollte sich alles anhören, machte sich Notizen. 

Sie erklärte, dass sie zwar jetzt erst das Bergwerk besuche, sich aber schon mit Amtsantritt in das Thema eingearbeitet habe. „Ich wollte voriges Jahr keinen Showbesuch. Damit ist uns allen nicht geholfen.“ Ihr und der Ampelregierung sei wichtig, dass mit dem 15. April 2023 – dem Abschalten der letzten Atomkraftwerke in Deutschland – der Ausstieg endgültig besiegelt wurde. „Wir mussten aber auch die Energieversorgung sicherstellen“, hob die Ministerin hervor, die den Besuch nach ihren Worten als sehr beeindruckend empfand. Die Grünenpolitikerin legte sich klar fest, dass die Fässer herausgeholt werden müssen. „Und zwar so schnell wie nur möglich.“ Dabei erinnerte sie sich an Mitte der 90er Jahre, als sie einst selbst gegen die Castor-Transporte demonstrierte. „Der Atomausstieg ist eine Herzensangelegenheit“, bekräftigte sie und sprach von unverantwortlicher Dramatik. Die Lager-Bedingungen der Atommüll-Fässer seien absolut inakzeptabel.  Bei der Knackpunktfrage blieb Lemke allerdings vage und gab auch keine Alternativen. Die Bürger wünschten sich einen anderen Zwischenlagerstandort, als den in direkter Nähe. „Ich sehe keinen schnellen Kompromiss beim Asse-Zwischenlager. Ich habe kein alternatives Zwischenlager in der Tasche“, sagte Lemke. Daher folge sie den Empfehlungen der BGE. 

Diese Aussage führte bei Landrätin Christiana Steinbrügge zum Kopfschütteln. „Eine Überprüfung der Standortfrage ist dringend geboten“, griff sie zum Mikro. Der aktuelle Standort habe ihren Worten nach Mängel, die Endlagersuche dauere bis in die 60er Jahre an und die Sicherheit stelle sie in Frage. Außerdem: „Oberirdische Zwischenlager sind auch Angriffsziele. Dies muss mit Blick auf den Ukraine-Krieg berücksichtigt werden“, betonte Steinbrügge. Ein Beteiligungsprozess sei nur vorstellbar, wenn die Frage geöffnet werde nach alternativen Lösungsansätzen. „Eine kompromisslose Festsetzung können wir nicht akzeptieren.“  Lautsch lenkte ein. „Wir sind in einem Dilemma. Wir müssen den Müll rausholen, weil wir nicht wissen, in welchem Zustand sich die Asse in zehn Jahren befindet“, so der Bergbauingenieur. Die Geologie sei nicht berechenbar. „Wir bringen Bewegung in ein hoch beanspruchtes und sensitives System. Uns läuft die Zeit davon.“ Einen Asse-fernen Standort für das Zwischenlager habe die BGE daher nicht geprüft, weil damit noch mehr Risiken verbunden seien und Zeit ins Land gehe. 

Samtgemeindebürgermeister Dirk Neumann nahm indes kein Blatt vor den Mund und feuerte zum Teil harte Geschosse ab. „Ich freue mich sehr über den Besuch, dass das Bundesumweltministerium aus der Versenkung aufgetaucht ist. Es war ja gefühlt über Jahre verschwunden.“ Er kritisierte, dass das Ministerium auf die Resolution der Samtgemeinde, der Stadt Wolfenbüttel und des Landkreises mit 280 Mandatsträgern seinem Empfinden nach nicht näher eingegangen sei. „Die Aussagen waren einfach ungenügend“, blickte Neumann auf den sogenannten Beleuchtungsbericht. „Die Bevölkerung verdient einen respektvollen Umgang. Die Ignoranz der Bundesebene zur Zwischenlager-Suche ist nicht akzeptabel. Als Grünenpolitikerin können Sie doch nicht wegschauen, wenn ein Zwischenlager im FFH-Gebiet entstehen soll. Da müsste Ihr Herz doch sagen: Standortvergleich“, schoss er erneut verbal auf die Ministerin.

Lemke konterte und ließ sich die vorgeworfene Ignoranz nicht gefallen. Sie habe Neumann mehrfach ihre Marschrichtung dargelegt. Ein oberirdischer Standort in unmittelbarer Nähe sei der schnellste und nächste, um weitere Gefahren zu minimieren. Die Genehmigungsfähigkeit sei gegeben. Die Entscheidung abhängig zu machen von der Abschaltung der Atomkraftwerke, sei richtig gewesen: „Wenn wir weitere Brennstäbe gekauft hätten, hätten wir noch mehr Müll produziert und mehr Kapazitäten im Zwischen- und Endlager gebraucht.“  Angelika Uminski-Schmidt, Kreistagsmitglied der Grünen-Fraktion, forderte finanzielle Mittel für einen Moderationsprozess zwischen den Akteuren. Lemke nahm die Idee positiv auf.  Christiane Jagau sprach für den BUND und forderte, dass der Havarieplan vorangetrieben wird. „Maximale Vorsorge, da mit Plutonium gerechnet werden muss.“ Das Wassermanagement stufte sie als „extrem wichtig ein – neben drei abgesoffenen Bergwerken.“   Thomas Fricke, Denktes Bürgermeister, forderte ein Gesundheitsmonitoring für Beschäftigte wie auch für die Bevölkerung. Gleichfalls solle die Bundesregierung gewährleisten, dass nur der bereits vorhandene Müll ins Zwischenlager kommt und nicht noch weiterer aus dem Bundesgebiet. Lemke befürwortete dies und wollte dies vertraglich sicherstellen.  Heike Wiegel vom Verein aufpASSEn freute sich zwar, dass Lemke den Weg in die Asse gefunden hatte. „Die Zeit reichte aber bei weitem nicht aus. Wir brauchen mehr Gesprächstermine.“ Sie übergab der Ministerin ein Päckchen mit Kritikpunkten – gesammelte Werke aus über zehn Jahren. Dankbar nahm sie auf, dass Lemke eine Einladung nach Berlin zum Gespräch signalisierte. 

Aus der Runde kam ein weiterer, vielleicht sogar entscheidender Hinweis, den Lemke prüfen wollte. Bei Blankenburg und Halberstadt gibt es Bunkeranlagen der Bundeswehr. Im Dritten Reich seien sie angelegt, zu DDR-Zeiten ausgebaut worden. Der Bundesrechnungshof rügte diese Anlagen bereits als zu teuer. „Sie sind vollintakt von der Bundeswehr“, sagte ein Mann, der nicht näher genannt werden wollte. Bisherige Verteidigungsminister lehnten die Nutzung ab. Durch die Rüge und den Wechsel im Verteidigungsministerium mit Boris Pistorius könnte hier ein Meinungswechsel stattfinden, hoffen die Bürger. Die Stollenanlage in Blankenburg sei eine unterirdische Apotheke, in der Arzneimittel und Medizinprodukte gelagert würden.