Dass man heutzutage zwischen dem Landkreis Harz und Wolfenbüttel auf der Bundesstraße 79 einfach hin und her fahren kann, davon hätte man vor drei Jahrzehnten wohl noch geträumt. 30 Jahre Mauerfall. Drei Wörter, die mit Tränen, Freud und Leid einhergehen. Mit etlichen Feiern wurde an das historische Ereignis am Wochenende erinnert. In der gesamten Bundesrepublik wurden bei den Menschen Erinnerungen wach. Vor dem Brandenburger Tor in Berlin fand wohl die größte Feier statt. Aber auch hierzulande schaute man zurück. Gestern Nachmittag organisierte eine Privatinitiative in Mattierzoll eine Gedenkfeier. Dort, am ehemaligen Grenzwachturm, kamen mehrere hundert Menschen zusammen. Ernst-Henning Jahn (Wolfenbüttels ehemaliger Landrat), Stephan Werther (Veltheims Pastor), Dr. Ernst-Hartmut Koneffke (ehemaliger Oberkreisdirektor) sowie Heinz Mühlenkamp (Rohrsheim) luden ein und erfuhren eine ziemlich überwältigende Resonanz. Manche ließen ihren Emotionen freien Lauf.
„Liebe Gäste, Nachbarn und Landsleute. Sie wissen gar nicht, was in diesem Moment in mir vor geht“, begrüßte Jahn. Grenzenlose Freude sah man ihm an. Stolz und Dankbarkeit. „Wir alle haben spannende Stunden miterlebt. Keiner von uns hatte damit gerechnet.“ Der Wachturm an der Grenze Mattierzoll sei ein Zeichen, welche abscheulichen und brutalen Zeiten Menschen miterlebten. Jahn: „Es waren Tränen des Glückes und der Freude, als sich Familien nach langer Zeit wiedersahen, sich in die Arme nahmen. Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen.“ Grenzsoldaten, Stacheldraht, Minen und Selbstschussanlagen machten die Grenzbefestigungen zu unüberwindbaren Hürden. Eine Sehnsucht, die jedoch im tiefen Herzen bei so vielen Bürgern verankert war. Der ehemalige Politiker meinte auch, dass alle Menschen in der Bundesrepublik auch heute noch täglich einen Grund zur Freude haben sollten. Der Schatten der Zonengrenze müsse endgültig weichen. Friedlich wurde demonstriert, die Menschen gingen in der DDR auf die Straßen, protestierten gegen das Regime, bis am 9. November 1989 in Berlin die Mauer fiel. Am 12. November 1989 öffnete sich um 7.58 Uhr die Grenze bei Mattierzoll.
Dieter Steinecke, Landtagspräsi-dent a.D. aus Sachsen-Anhalt, sprach von den Stasi-Mächten. „Die friedliche Revolution war ja die eine Sache. Die Wiedervereinigung stand damals noch gar nicht im Vordergrund“, erzählte er. „Es war ein Befreiungsschlag.“ Unzählige Menschen pochten auf ihre Meinungsfreiheit, wollten freie Wahlen und endlich wieder in den Westen reisen. Ein Zustand, den sich junge Leute heute gar nicht mehr vorstellen können. Steinecke appellierte auch: „Wir dürfen den Rechtspopulisten in unserem Land keine Chancen geben. Das müssen wir den jungen Leuten mit auf den Weg geben. Wir müssen aufklären“, rief er zu und erhielt kräftigen Applaus. „In Deutschland braucht niemand auf der Straße leben. Wir haben mit Kerzen und Gebeten gekämpft und die Wiedervereinigung geschafft, das dürfen wir uns nicht wieder vom rechten Flügel kaputt machen lassen.“
Jürgen Gansäuer, Landtagspräsident a.D. aus Niedersachsen, ging auf die Diktatur ein, die auch nach 1945 weitergelebt wurde. „Wir sollten uns immer wieder sensibel an die Zeit erinnern“, betonte er. Thüringen und Sachsen seien schöne Länder, das dürfe man sich nicht von Rechtsradikalen schlecht reden lassen. „Wer sagt, hier wurde nichts geschafft, der muss sich mal an den Trümmerhaufen der Frauenkirche in Dresden erinnern. Da kann man doch nicht den Rechten rechtgeben“, schob er nach und ging auf die prächtige Kultur mit Goethe, Schiller und Bach ein, der Reformation in Wittenberg. Gansäuer: „Es ist ein Wunder, dass wir das erlebt haben.“
Sigmar Gabriel, Bundesminister a.D., sprach von Straßen und Brücken, die in kürzester Zeit gebaut wurden, um Menschen wieder miteinander zu verbinden. „Kinder können sich diesen Wahnsinn gar nicht mehr vorstellen. Zu Fuß vom Torfhaus auf den Brocken gehen, war damals unmöglich.“ Und auch die geteilte Eckertalsperre im Harz. Geteiltes Wasser, unvorstellbar. Gabriel untermauerte: „Wir haben heute das beste Deutschland, das wir jemals hatten.“ Der ehemalige Vizekanzler ging auf die fünf Bundesländer ein, die im Osten liegen und betonte, dass gar nicht alles schlecht sei, oftmals werde es schlechter geredet, als es tatsächlich sei. So würden nach einer aktuellen Studie Hochschulen, Schulen und Kitas sogar besser dastehen. Mecklenburg-Vorpommern habe Bayern als attraktives Tourismusland abgelöst, der Abstand bei den Löhnen bei Frauen und Männern sei geringer. Gabriel wünschte schließlich den Menschen alles Gute.
Mit der Nationalhymne endete die Feierstunde am Denkmal. Kinder, Erwachsene, Zeitzeugen und mehr machten sich dann auf zur Kirche St. Johannes in Veltheim am Fallstein. Dort fand noch mit Pfarrer Stephan Werther ein Gottesdienst statt. Die Kirche wurde rappelvoll, nicht jeder bekam einen Sitzplatz. „Das Echo ist überwältigend“, sagte Werther zu Beginn. Die Männergesangvereine aus Veltheim und Rohrsheim eröffneten die Messe mit dem Stück „Ode an die Freude“ von Ludwig van Beethoven. Die Bürger fühlten sich wohl, sangen auch bei den Chorälen „Nun danket alle Gott“ und „Großer Gott wir loben dich“ fröhlich und herzhaft mit. Werther ging auch in seinen Worten auf das Miteinander ein. „Bürger haben aus unserem Land das beste herausgeholt“, predigte er.
Nach dem Gottesdienst fand ein Empfang in einem großen Festzelt direkt vor der Kirche statt. Das Motto: „Grenzenlose Freude – mitten in Deutschland“. Auch hierbei nutzten viele Menschen die Gelegenheit, sich nach Herzenslust zu begegnen, zu erinnern und zu feiern.