Derzeit in den Medien, und vor allem in der Bundespolitik, wird die vom Gesundheitsminister Jens Spahn angestrebte Widerspruchslösung bei der Organspende diskutiert. Die Frage dabei ist: Soll die Organspende per se durchgeführt werden oder soll es weiterhin eine freiwillige Handlung bleiben? Wenn es nach Spahn ginge, würde jeder Bürger als potentieller Spender in Frage kommen, es sei denn, er hat dem zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen. Damit würden wir es vielen anderen Ländern gleich tun. Denn Deutschland ist das einzige Land, das die „Entscheidungslösung“ – Organe dürfen also nur dann entnommen werden, wenn die Person zu Lebzeiten zugestimmt hat – praktiziert. In Ländern wie beispielsweise Frankreich, Griechenland, Österreich, Schweden, Italien und Belgien gilt die nun auch in Deutschland angestrebte „Widerspruchslösung“ bereits seit Jahren. Und auch Dänemark will 2020 nachziehen.

Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung warten jährlich etwa 9.500 Menschen auf ein lebensrettendes Organ. Die Warteliste ist lang und für viele Patienten wird sie irgendwann einfach zu lang. Denn bundesweit gab es beispielsweise im vergangenen Jahr nur 955 Organspender. Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass diese Rechnung nicht aufgeht.

Für mich persönlich hat sich die Frage nie gestellt: Organspende, ja oder nein? Ich habe schon viele, viele Jahre einen Ausweis. Wenn man nach meinem Ableben noch irgendwas mit meinen Organen anfangen kann – bitte, sehr gern! Denn ich werde sie ja ganz sicher nicht mehr brauchen. Warum also soll ich nicht einem anderen Menschen zu einem „neuen Leben“ verhelfen? Ich finde, es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass man vielleicht irgendwann irgendjemandem das Leben retten kann. Und: Ich nehme meiner Familie die Entscheidung ab, indem ich ganz klar festlege, was passieren soll. Es gibt mir aber auch die Sicherheit, dass genau das passieren wird, was ich entschieden habe. An einem von mir ausgefüllten und unterzeichneten Dokument ist nunmal nicht zu rüttteln.

Ich finde den Ansatz von Jen Spahn prinzipiell richtig. Es sollte meiner Meinung nach eine verbindliche Regelung her. Derzeit ist es ja eher vage geregelt. Wer seine Organe spenden möchte, dokumentiert dies mit einem Organspendeausweis. Und wer nicht spenden will, der kann auf eben diesem Kärtchen den Haken hinter „Nein“ setzen. Oder man überlässt die Entscheidung einfach den Anderen. Dann kann man nur hoffen, dass das Thema zumindest mit den Angehörigen irgendwann einmal besprochen wurde. Wenn nämlich kein Ausweis vorliegt und auch nicht kommuniziert wurde, wie Sie entscheiden würden, werden die Angehörigen nach Ihrem mutmaßlichen Willen gefragt. Und ob das immer so auch Ihr Wille gewesen wäre? Ganz zu schweigen davon, welch Belastung das für Ihre Familie ist.

Die Organspende per Gesetz zu verankern mag für viele vielleicht nach Zwang oder gar einem Eingriff in die Persönlichkeitsrechte klingen. Und vielleicht ist es das ja auch in gewisser Weise. Aber wir Menschen reagieren doch einfach auch viel zu oft erst dann, wenn der Gesetzgeber uns Vorgaben macht, uns Entscheidungen aufzwingt und zu Handlungen verpflichtet. Dann erst geht ein empörter Ruck durch die Gesellschaft: „Was? Ich muss meine Organe spenden? Wo ist das Dokument, mit dem ich das ablehnen kann?“. Ich denke, genau so läuft es. Oder haben Sie schon jemanden rufen gehört: „Es werden Organspender gebraucht? Wo soll ich unterschreiben?“. Eher selten, oder?

Jedem sollte es selbst überlassen sein, was mit seinem Körper nach dem Leben passiert. Jeder hat sicher seine Gründe für das Für und Wider und ich finde, niemand sollte wegen seiner Entscheidung kritisiert oder verurteilt werden. Ich denke aber, dass mit der „Widerspruchslösung“ die Zahl der Organspender steigen würde. Und wenn es nur eine Handvoll ist, hätte man schon viel erreicht. Wichtig ist aber vor allem, dass man sich damit beschäftigt und seinen Willen mitteilt. Denn viele Menschen haben keinen Organspendeausweis, weil sie sich schlichtweg nicht mit dem Thema Organspende auseinandersetzen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Meist möchte man sich mit solch „unangenehmen“ Tabuthemen einfach nicht beschäftigen. Denn das hieße ja, man muss sich mit dem eigenen Tod auseinandersetzen. Fakt ist für mich jedoch: Die Organspende ist keine Frage des Sterbens, sondern des Lebens.

Oft ist es auch einfach fehlende Aufklärung, mangelnde Präsenz des Themas in der Gesellschaft oder Misstrauen gegenüber Ärzten und Transplantationskliniken. In Wolfenbüttel geht man scheinbar mit gutem Beispiel voran. Unsere Umfrage zeigt jedenfalls, dass schon viele einen Organspendeausweis haben oder sich zumindest mit dem Thema beschäftigt haben. Sie zeigt aber auch, dass das Thema mehr in die Öffentlichkeit gerückt werden muss. Mehr Aufklärung ist erwünscht. Ich denke also, selbst wenn der Plan einer Widerspruchslösung nicht aufgeht, so kann er doch dazu führen, dass ein Teil unserer Gesellschaft über die Organspende nachdenkt. Vielleicht wäre es ja ein erster Ansatz, das Thema einfach mehr in die Öffentlichkeit zu rücken. Ich meine: Das Insektensterben hat es ja durch Diskussionen in Bevölkerung, der Politik und den Medien auch bis in die Köpfe der Gesellschaft geschafft. Warum also nicht das Sterben der eigenen Gattung? Und wenn Sie kein Organ spenden wollen und Ihrem Schöpfer mit einem „ganzen“ Körper gegenübertreten möchten – dann halten Sie das doch einfach fest. Beispielsweise auf einem „Ich-bin-gegen-die-Organspende-Ausweis“. Ansonsten könnten Sie „versehentlich“ für irgendeinen Menschen zur letzten Hoffnung werden…