Mehr Radverkehr war nie! Sollte es jemals in der Rückschau um positive Aspekte der Corona-Pandemie gehen, dann bleibt festzustellen: Seit 2020 gibt es einen Boom bei Fahrrädern, E-Bikes und Pedelecs, der bis heute anhält.

„Die Deutschen wollen wieder an die Luft“, bestätigt Torsten Ruhe, Betriebsleiter der Wirtschaftsbetriebe im Landkreis Wolfenbüttel (WLW). In gewisser Weise passt ihm das gut, denn er ist auch verantwortlich für den Ausbau der Radwege. „Jetzt geht’s rund“ lautet der motivierende Untertitel des Fahrradmobilitätskonzeptes, das der Kreistag beschlossen hat.

Die Gemeinden durften Vorschläge anmelden, und tatsächlich gingen 70 Strecken ein, deren Umsetzung bis 2030 vorgeschlagen wurde. „22 von diesen finden sich im beschlossenen Konzept wieder und sind jetzt bei uns in Arbeit, und zwar je zur Hälfte an Kreisstraßen sowie an Landes- und Bundesstraßen.“ Das sind 49,1 Kilometer innerhalb von zehn Jahren. „Ein sportliches Ziel, aber zu schaffen“, glaubt der WLW-Chef.

Denn der Landkreis hat eine interessante Kooperation geschlossen, um den Radwege-Ausbau in Schwung zu bringen: „Wir springen ein, wenn das Land keine Kapazitäten für die Planung hat“, erklärt Ruhe. Seine Behörde lege die Eckdaten fest und plane, teils werde sogar die Auftragsvergabe übernommen – am Ende zahlt das Land nur noch für den Ausbau, übernimmt den fertigen Weg und auch die Pflege. „Diese Kooperation ist bei weitem kein Standard-Modell in Niedersachsen.“

Diese Art der „Beschleunigung“ hat dazu geführt, dass auf der Dringlichkeitsliste des Landes von 2016 keine Wolfenbütteler Anträge mehr zu finden sind. „Abgearbeitet“, sagt Ruhe und lacht. „Insgesamt wurden vier Trassen fertiggestellt, zwei weitere sind derzeit in Planung.“

Doch es gibt selbstredend weitere Wünsche, und dringlich ist aus lokaler Sicht sowieso jedes einzelne Vorhaben. Bei der Bewertung der aktuellen Liste sei der WLW drei Aspekten gefolgt: 1. Welcher Radweg würde Lücken zu bestehenden Wegen schließen? 2. Welcher Weg ist wichtig für die Anbindung an das Mittelzentrum Wolfenbüttel? 3. Wie groß ist die verkehrliche Bedeutung?

Zudem gebe es übergeordnete Ziele, die zu berücksichtigen sind, meint Ruhe. Zum Beispiel die Ostumfahrung der Kreisstadt über Wendessen und Atzum. „Bei diesem Projekt binden wir auch den neu geplanten Haltepunkt Wendessen der Regionalbahn mit ein.“ Die Streckenführung „Rund um die Asse“ sei ebenfalls ein solches Einzelprojekt.

Besonders glücklich ist der WLW-Leiter aber über seinen jüngsten Coup: Er ist der Umsetzung eines Radweges von Kissenbrück nach Neindorf einen großen Schritt näher gekommen. „Der Grunderwerb ist abgeschlossen, und der Bau kann im zweiten Halbjahr beginnen.“ Der neue Weg begleite die Kreisstraße von Kissenbrück kommend östlich vom Golfplatz, und zwar zunächst auf der rechten Seite. An der Einmündung eines Feldwegs wechsele er nach links und bleibe dort bis Neindorf.

„Bei diesem Vorhaben passte einfach alles“, freut sich Torsten Ruhe. Beim Geländekauf hatte er es (mit Ausnahme der Gemeinde) nur mit einem Eigentümer zu tun – der sich dann auch noch sehr aufgeschlossen zeigte. An der Streuobstwiese Richtung Ösel lasse sich zudem ein schöner Sitzplatz einrichten. Und dann waren die gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen auch noch in direkter Nachbarschaft möglich. „Diese Nähe zu der versiegelten Wegstrecke ist zwar nicht vorgeschrieben, sie hat aber ihren Reiz“, urteilt er. Auch der Untere Naturschutz sei begeistert, weil auf diesem Wege die Biotop-Vernetzung umgesetzt werden kann. „Das ist wirklich eine runde Sache“, meint der WLW-Chef.

Allerdings ist das nicht immer so, denn der Neubau eines Radweges bedeutet eine schwierige Jonglage unterschiedlicher Inte­ressen. Neben den Ausgleichsflächen geht es um Artenschutz und um Wasserrechte. Die Problemlösung fresse viel Zeit. „Für meine Begriffe erfordern Radwege sogar unverhältnismäßig viel Vorlauf für die Planung“, kritisiert er. Der Bau selbst sei vergleichsweise einfach und stelle keine Herausforderung dar.

Übrigens gibt es zwei weitere Wege, die der WLW gerade in Angriff nimmt. Die Verbindung Cremlingen-Hordorf/ 2. Bauabschnitt) dürfte 2023 umgesetzt werden. „Der Grunderwerb steht jetzt an, die Trasse steht.“ Ganz ähnlich ist der Sachstand zwischen Sickte und Salzdahlum, und zwar bis zum geplanten Kreisel zwischen Apelnstedt und Hötzum.

Übrigens nimmt Torsten Ruhe gerade bei diesem Beispiel Stellung zu Radwegen, die quer durch die Feldmark verlaufen. „Das ist eine oft geführte Diskussion, und ich kann beide Seiten verstehen.“ Für Radler auf Feldwegen spreche die Nähe zur Natur. Gegner dieser Lösung führten hingegen die „soziale Komponente“ an: Kinder würden in Straßennähe besser gesehen, Unfälle oder Überfälle würden umgehend bemerkt. „Wir haben uns entschieden, diesem zweiten Argument zu folgen, und bauen daher nur Radwege an Straßen aus.“

Darüber hinaus sprächen auch die Möglichkeiten der Inspektion und des Winterdienstes für die Straßennähe. „Ganz abgesehen davon, dass die Straßen bei uns stets die kürzesten Verbindungen von A nach B sind.“

Allerdings befänden sich die Feldwege im Besitz der Feldinte­ressentschaft – eine Situation, die nicht selten für Ärger sorgt. „Radler, Wanderer und Spaziergänger sind auf diesen Wegen nur zu Gast“, betont Torsten Ruhe. „Ich kann da nur für gegenseitige Rücksichtnahme plädieren.“