Solche Häuser erzählen Geschichten. Man muss sie erzählen, bevor sie verloren gehen. Das Fachwerkhaus an der Destedter Hauptstraße 20, markant liegt es in einer scharfen S-Kurve, feiert 400. Geburtstag. „Der Inschrift im Balken über meiner Haustür ist zu entnehmen, dass das Haus im Jahr 1623 errichtet wurde“, erzählte Christian Kleeberg. „ANNO 1623 DEN 29. APRILIS“ steht auf diesem Balken. Kleeberg zog 1997 aus Vechelde nach Destedt und bewohnt seitdem das älteste Haus in dem Dorf am Elm. Zu diesem ehemaligen Bauernhaus gehören weitere Scheunen und Stallungen, die sich um das Wohngebäude gruppieren. Beim Besuch mit Ortsbürgermeister Diethelm Krause-Hotopp und Ortsheimatpfleger Jörg-Eckehardt Pogan gab es viele interessante Einblicke in die vergangenen Jahrhunderte.
In den 400 Jahren müssen, so schätzte Kleeberg, wenn man alleine die Generationen durchrechnet, bis zu 15 verschiedene Familien das Haus bewohnt haben. „Um diese Personen erforschen zu können, könnte die Kirche helfen. In den Kirchenbüchern könnte so etwas drinstehen“, meinte Pogan, der wieder mit seinem fundierten Wissen beeindruckte. Die Arbeit der Ortsheimatpfleger ist unheimlich wertvoll. Sie sammeln viele Unterlagen, doch haben sie oftmals noch vielmehr Wissen im Kopf.
Die Architektur an sich ist für jene Zeit auch interessant. Die Menschen waren früher nicht so groß, wie es heute der Fall ist. Demnach mussten sie auch nicht so große Raumhöhen haben. Dieses Haus hat aber Deckenhöhen, wie sie heute vorkommen. Für damalige Verhältnisse war das also besonders. Kleeberg vermutete, dass der Erbauer finanziell gut aufgestellt gewesen sein muss. „Das Fachwerk besteht aus reinen Eichenbalken“, sagte er. Wo die herkamen, ist nicht bekannt. Aber vor 250 Jahren, wusste Pogan, gab‘s in Schandelah-Wohld noch einen Eichenwald, bis er Ackerland wurde. „Im Elm wachsen mehr Buchen“, ergänzte der Ortsheimatpfleger, dessen Oma damals nur ein paar Häuser weiter wohnte. Pogan verbrachte daher viel Zeit im Unterdorf. Das Haus hatte damals auch schon einen Schornstein. „Auch das war für jene Zeit ungewöhnlich. Schornsteine kamen erst nach dem 30-jährigen Krieg (1618 bis 1648)“, führte Pogan aus. Gute 250 Quadratmeter Wohnfläche teilen sich auf zwei Etagen auf. Einen Keller gibt es nicht.
Im Buch „Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtumes Braunschweig“ aus dem Jahr 1900 wird das Haus als „Erkeroder Typ“ beschrieben. Der Baustil teilt die Wirtschafts- und Wohnräume sowie die Dähle auf. Die fünf Fächer breiten Wohnungen stehen weiter vor, die Stallungen weiter zurück. „Wenn man aus der Haustür rausging zu den Pferden, wurde man dann nicht nass, wenn es regnete“, fuhr Kleeberg fort. Sein Wohnhaus ist auch 70 Jahre älter als das Schloss der Familie von Veltheim von 1693. Die Wände sind mit Lehm verkleidet, dahinter befindet sich typisches Flechtwerk.
Über die ersten 150 Jahre ist nichts bekannt. Die Dorfbeschreibung aus dem Jahr 1772 aus dem Niedersächsischen Landesarchiv führt zu dem Grundstück mit der Assekuranznummer 41. Zu dieser Zeit bewirtschaftete der Bauer Andreas Christian Lochte den Kleinkothof und hatte mehrere Morgen Ackerland. Destedt war ein beschauliches Dorf. Um 1580 gab es in Destedt 93 männliche Einwohner. „Frauen und Kinder unter zwölf Jahren wurden nicht gezählt“, verriet Pogan. Vielleicht mögen rund 300 Einwohner hier gelebt haben, wenn die damaligen Männer eine Frau und ein Kind hatten. In dem Landesarchiv hat der Ortsheimatpfleger auch erfahren, dass es auf dem Hof drei Pferde, zwei Kühe, ein Rind und ein Schwein gab. „Zwei Kühe zu haben, war besonders. Viele hatten nur eine oder eben eine Ziege. Viele Höfe waren Selbstversorger“, schilderte er. Beschrieben ist auch, dass sich auf dem Grundstück eine „Roß Oel Mühle“ befand. Übersetzt heißt das, dass die drei Pferde im Kreis gingen und eine Ölmühle antrieben. Öle aus Raps, Leinen, Flachs, Mohn wurden hier produziert.
Um 1623 gab es um die 20 Landwirte, nach dem Zweiten Weltkrieg waren es acht Hauptlandwirte und viele im Nebenerwerb. Große Bauernhöfe mussten mindestens 30 Morgen Ackerland haben, um als Großkothof genannt zu werden. Der Hof von Kleeberg lag drunter.
Beachtlich ist, dass die Kriege dem Haus nichts angetan haben. Sei es 1626, als der 30-jährige Krieg durch den Heeresführer Herzog Christian von Braunschweig auch in Destedt seinen Lauf nahm. Der Ort sei total vernichtet, die Kirche beschädigt worden. Äcker konnten nicht mehr bestellt werden. Erst 1641 wurde Wolfenbüttel befreit.
In Folge der Kriege wurde das Kleeberg-Haus für Hinterbliebene genutzt. „Wohnraum war knapp“, warf Krause-Hotopp ein, der sich mit Kriegsgeschichten hierzulande intensiv befasst. Bekannt ist, dass Christian Weber den Hof bis zum Ersten Weltkrieg bewirtschaftete. Er gab die Landwirtschaft ab 1920 auf und verkaufte an die Familie von Veltheim. Nach Weber bewohnte „Dachdecker Kühne“ das Haus – vielen älteren sei das noch ein Betriff, meint Pogan. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen auch Flüchtlinge unter. Räume wurden vermietet.
Die Scheunen waren nach 1958 an den Nachbarn Erich Lüer verpachtet, der sie für die Landwirtschaft benötigte. Vermutlich bewirtschaftete Lüer auch die große Fläche vom Haus bis zur Schule. Erst 1957 wurde die Schule gebaut, 1966 wurde der Sportplatz eingeweiht, vorher war alles Acker.
Seit 1997 bewohnt nun Christian Kleeberg das Haus an der Hauptstraße. Der erwähnte Landwirt Christian Weber war sein Urgroßvater. Damit wird die Story wieder rund. 2008 beteiligte sich Kleeberg am Tag des offenen Denkmals. Das Interesse war damals groß.
Kleeberg möchte den Geburtstag zu einem späteren Zeitpunkt mit einem Frühstück in seinem großen Garten feiern. Und auch eine Andacht soll es geben. „Das gehört zu einem so schönen Ereignis dazu“, freut sich Kleeberg an diesem für ihn bedeutenden Wochenende.